3. Seite mit 1 Fall

 

Willibald Alexis Geschichten aus dem Neuen Pitaval
3. Seite mit 1 Kriminalfall
 

 

Das neue Pitaval

Politisch relevante, merkwürdige und kuriose Kriminalfälle sind in diesem Pitaval vereinigt, Gerichtsverfahren, die in ihrer Zeit Aufsehen erregt haben und die auch für den Leser heute noch interessant sind. Sie werfen ein bezeichnendes Licht auf vergangene gesellschaftliche Zustände und fördern so manches, bisher Unbekanntes zu Tage.

 

1. Ferdinand Gump und Eduard Gänswürger  -  1873

In Mainburg, einem kleinen Flecken an der Grenze von Ober- und Niederbayern, wurde am 11. Dezember 1872, einem Mittwoch, der letzte Markt vor Weihnachten gehalten. Von allen benachbarten Dörfern zogen Männer und Frauen, Burschen und Mädchen nach dem Ort, um Einkäufe für das Fest zu machen, denn es war ein schöner Wintertag, der so manchen hinauslockte.

Auch der Seiler Xaver Gruber von Elsendorf, ein junger Mann von dreißig Jahren, der sechzigjährige Söldner Joseph Ettmüller aus dem gleichen Dorfe und Franz Ullinger, ein Söldner von Irnsing, achtundfünfzig Jahre alt, hatten sich auf den Weg gemacht und einander auf der von Abendsberg nach Mainburg führenden Straße getroffen. Sie zogen plaudernd und ihre Pfeife rauchend ihres Weges. Als sie das Dorf Meilenhofen hinter sich hatten, begegneten ihnen drei Männer. Der eine war ein hoch aufgeschossener, hagerer Mann von einigen zwanzig Jahren, die beiden anderen, breitschulterig und untersetzt, mochten dreißig bis vierzig Jahre alt sein.

Alle drei trugen Jagdranzen und waren mit Gewehren und Revolvern bewaffnet. Sie taumelten hin und her, als ob sie betrunken wären, so dass ein Bauer, den sie kurz vorher überholt hatten, äußerte: »Die können mit ihren Gewehren und ihren Räuschen leicht ein Unglück anrichten! « Sie schienen bei guter Laune zu sein, denn einen anderen ebenfalls nach Mainburg gehenden Mann namens Xaver Zimmerer fragten sie: »Wo aus, Landsmann?“ Er antwortete: »Nach Mainburg!“ und fragte seinerseits, wohin sie wollten. Sie welschten im Scherze einige unverständliche Redensarten daher, als ob sie Franzosen wären, und erkundigten sich dann in gebrochenem Deutsch, in das sie öfters Monsieur und andere französische Worte einfließen ließen, woher er komme und wie er heiße. Der größte hatte, wie Zimmerer bemerkte, an seinem Zwillingsgewehr bereits den Hahn gezogen und die Kapsel aufgesetzt. Lachend waren sie weitermarschiert, bis sie auf die drei genannten Marktgänger stießen.

Hier erwiesen sie sich weniger umgänglich. Die beiden älteren der anscheinend so lustigen Burschen, die wie Jäger aussahen, gingen ruhig vorbei; der dritte jüngere aber hielt ohne weiteres sein Gewehr dem Seiler Gruber entgegen und rief ihm drohend zu: »Legt ab!« Gruber, der nicht recht wusste, ob es Scherz oder Ernst war, entgegnete: »Oho! So wird's doch nicht pressieren? « Kaum waren diese Worte gesprochen, da krachte der Schuss, und Gruber stürzte tödlich getroffen nieder. Jetzt war an dem furchtbaren Ernst der Sache nicht mehr zu zweifeln.

Ettmüller sprang hinzu und wollte seinem Kameraden beistehen, aber im Augenblick feuerte der Mörder zum zweiten Male, und auch Ettmüller brach zusammen. Ullinger stand da wie vom Donner gerührt, er wagte weder zu fliehen noch um Hilfe zu rufen, sondern erwartete jeden Augenblick, dass auch seine letzte Stunde geschlagen hätte. Er sah den fürchterlichen Menschen, der ein Stilett in der Brusttasche trug, dicht an seiner Seite, er sah, wie er den Revolver in die Höhe hob und die Mündung gegen seinen Kopf richtete. Zitternd gab er den beiden anderen Räubern, die gleich nach dem ersten Schuss umgekehrt waren, seine ganze Barschaft – vierhundertundfünfzig Gulden – und bat, ihm das Leben zu schenken. Aber der eine der beiden älteren schien ebenfalls nach Blut zu lechzen, er legte das Gewehr – ebenfalls einen sogenannten Zwilling – auf ihn an, sein Leben hing an einem Haar und wäre wahrscheinlich ebenso verloren gewesen wie das seiner Gefährten, wenn ihm nicht ein Retter aus der Mitte der Räuber selbst erstanden wäre.

Der dritte, der der älteste zu sein schien, rief seinem Spießgesellen zu: »Halt! Gewehr a! ««, gab dem Ullinger einige Kolbenstöße und jagte ihn mit den Worten: »Mach, dass du fortkommst! « von dannen. Der arme, zum Tode geängstigte Mann ließ sich das nicht zweimal sagen, sondern eilte fort, so schnell ihn seine Füße tragen wollten. Die Räuber beraubten nun ihre beiden Opfer. Sie fanden bei Ettmüller nur acht bis zehn, bei Gruber nur vierzig Gulden. Den Rest von sechzig Gulden, der in den Rücken der Jacke eingenäht war, entdeckten sie nicht. Hierauf warfen sie kaltblütig die beiden Leichname in den Graben neben der Straße und entfernten sich nach Aggersdorf zu.

Sie hatten erst eine kurze Strecke zurückgelegt, als ihnen der Söldner Jakob Neumaier von Train entgegenkam. Auch ihm hielt einer der drei Straßenräuber die Mündung des Gewehrs vor das Gesicht und rief: »Leg ab! « Ohne erst darauf zu warten, schlug ihn ein zweiter mit dem Kolben nieder und nahm ihm seine Barschaft ab, die aus fünf Gulden bestand. Auch Neumaier schwebte am Rande des Grabes, denn einer der Räuber machte Miene, ihn zu erschießen, und wurde davon nur abgehalten durch den Zuruf seines Genossen: »Schieß nicht! « Der Beraubte kam mit dem Leben davon und eilte nach Hause. Die Räuber bogen von der Straße ab und wandten sich dem sogenannten Hagelholze zu. Mehrere Leute sahen, wie sie sich auf dem Wege dahin miteinander balgten; dann aber verschwanden sie hinter den Bäumen, man hörte im Walde noch etliche Schüsse fallen, aber gesehen wurden sie in der Gegend niemals wieder.

Der Raubmord, der am hellen Tage auf offener, belebter Straße mit solcher Verwegenheit und Grausamkeit verübt worden war, rief nicht bloß in den nächsten Ortschaften, sondern im ganzen Lande einen plötzlichen Schrecken und allgemeine Entrüstung hervor. Wer war seines Lebens noch sicher, wenn solche Greueltaten ungestraft begangen wurden! Wer konnte noch ohne Angst und Furcht über Land auf das nächste Dorf gehen, wenn Banditen es wagten, drei Männer anzufallen, zu plündern und zwei davon niederzuschießen, während zehn und zwanzig Marktgänger in der Nähe waren!

Die Stimme des Volkes verlangte von den Behörden, dass sie die größte Energie aufbieten und sich um jeden Preis der Straßenräuber bemächtigen sollten. Es wurden in der Tat auch alle möglichen Anstrengungen gemacht, eine Menge von Zeugen verhört, eine große Zahl von Personen, die das Gerücht als die Schuldigen oder Mitschuldigen bezeichnete, in Untersuchungshaft genommen, Streifen angeordnet und alle verdächtigen Orte durchsucht, aber die Verbrecher waren und blieben verschwunden, als hätte der Erdboden sie verschluckt, und auch sonst waren die Ergebnisse der angestellten Nachforschungen gering.

Es verursachte unsägliche Schwierigkeiten, auch nur eine einigermaßen genügende Personenbeschreibung zu erlangen. Ullinger war viel zu entsetzt und erschrocken gewesen, als dass er hätte ruhig und genau beobachten können. Er wusste kaum, wie die Wegelagerer ausgesehen hatten. Genau so war es mit Neumaier. Auch er hatte in seiner großen Angst nicht daran gedacht, den Gesichtszügen und der Kleidung der Räuber besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Die Personen aber, die ihnen sonst begegnet waren, hatten sie ebenfalls für Marktgänger gehalten und keine Veranlassung gehabt, sie genau zu beobachten.

So ließ sich denn nur folgendes ermitteln: die drei Banditen hatten Waffen und Ranzen getragen, zwei waren mit Pelzmützen bekleidet gewesen; der eine war klein und untersetzt gewesen und hatte ein volles Gesicht, eine stumpfe Nase und ein aufgedrehtes Schnurrbärtchen gehabt; der zweite war etwas größer und der dritte ein hochgewachsener Mensch und bedeutend jünger als die beiden anderen gewesen. Am 10. Dezember, dem Tage vor der Tat, waren alle drei in dem einige Stunden entfernten Markte Geisenfels in einem Wirtshause eingekehrt, hatten dort eine Flasche Branntwein gekauft und sie mitgenommen, als sie abends acht Uhr weitermarschiert waren. Am nächsten Tage morgens gegen halb sechs Uhr waren sie zum Wirt Michael Wegermaier in Lindkirchen, eine kurze Strecke von Meilenhofen entfernt, gekommen – sie mussten also die ganze Nacht marschiert sein, um von Geisenfels nach Lindkirchen zu gelangen.

Bei dem Wegermaier hatten sie ein Maß Bier und sechs Flaschen Wein getrunken, und nach jeder Flasche Wein waren sie heiterer geworden und hatten angefangen zu singen, bis sie endlich in sehr lustiger Stimmung das Wirtshaus und das Dorf verlassen hatten, um in der Richtung nach Meilenhofen zu weiterzugehen. In Lindkirchen hatten sie sich für Metzger aus Neuburg an der Donau ausgegeben und waren auch dafür gehalten worden. Nach der sehr bestimmten Versicherung des Wirtes hatten sie damals Gewehre nicht bei sich gefühlt. Vermutlich hatten sie die Waffen, um kein Aufsehen zu erregen, vor dem Dorfe versteckt gehabt und dann bei ihrem Weggehen wieder an sich genommen. Die Kellnerin, der sie die ziemlich hohe Zeche in Zweiguldenstücken bezahlt hatten, hatte gehört, wie der eine seine Genossen gewarnt hätte, sie sollten nicht zu viel trinken, weil sie sonst schlechte Geschäfte machen würden.

Das war alles, was über die schreckliche Tat und die Täter ermittelt werden konnte, und doch wurden schon am 11. Dezember 1872 die Namen von zweien der Mörder genannt. Ein Gendarm zeigte an diesem Tage an, dass das Signalement des Räubers in den dreißiger Jahren, der eine Pelzmütze getragen habe, so ziemlich auf Ferdinand Gump und das Signalement des anderen jüngeren auf Eduard Gänswürger passe.

Gump und Gänswürger wurden damals, als die erwähnte Gendarmerieanzeige den Verdacht wegen des Raubmordes bei Meilenhofen auf sie lenkte, im bayrischen Zentral-Polizeiblatt wegen mehrfacher Diebstähle und äußerst dreist begangener Raubanfälle, die sie im Donaumoos begangen hatten, steckbrieflich verfolgt. Beide waren schon mehrfach vorbestraft. Ferdinand Gump, genannt der Seitzfendl, war am 29. Mai 1844 zu Walding im Gerichtsbezirke Neuburg an der Donau geboren und hatte als Zimmermann gelernt. Er war schon in früher Jugend verschiedene Male wegen Diebstahls verurteilt, am 20. Januar 1871 aber vom Bezirksgerichte Freysing in Oberbayern wegen Widersetzlichkeit und Jagdfrevel mit einer Gefängnisstrafe von einem Jahr belegt worden. Als er diese Strafe verbüßt hatte, war er nach Walding zurückgekehrt, hatte von neuem gewildert und gestohlen, war wiederum zweimal zu je einem Jahre Gefängnis verurteilt worden, hatte aber diese Strafe nicht angetreten, sondern hatte ein wildes, zuchtloses Räuberleben begonnen.

Eduard Gänswürger, der Sohn eines Korbmachers in Grillheim, einem Nachbarorte von Walding, war jünger als Gump, etwa fünfundzwanzig bis siebenundzwanzig Jahre alt, aber noch ein Schulkamerad von ihm und bei früheren Unternehmungen, namentlich beim Wildern, sein Gefährte gewesen. Vom oberbayerischen Schwurgerichte war er wegen Diebstahls mit mehreren Jahren Zuchthaus bestraft und in das Zuchthaus nach München eingeliefert worden, aus dem er aber schon nach kurzer Zeit in abenteuerlicher Weise entsprungen war. Im Hofe des Zuchthauses hatte nämlich ein Bauer, der für die Anstalt Kartoffeln lieferte, seinen Wagen abgeladen und ihn dann mit den leeren Kartoffelsäcken stehen lassen.

Der Wagen war einige Augenblicke ohne Aufsicht geblieben, dann war der Bauer zurückgekehrt und durch das von einem Posten wohlbewachtes Tor hinaus seiner Heimat zu gefahren. Als er einige Stunden gefahren war und sich mitten in einem Walde befunden hatte, war es unter den Säcken plötzlich lebendig geworden, und zu seinem größten Erstaunen hatte sich ein graugekleideter Mensch erhoben, in dem der Bauer sofort einen Zuchthaussträfling erkannt hatte. Es war Gänswürger gewesen, der gerade im Hofe des Zuchthauses beschäftigt gewesen war und den günstigen Augenblick wahrgenommen hatte, sich unter den Säcken des Wagens zu verbergen und auf diese Weise seine Freiheit wiederzuerlangen. Er hatte eine fürchterliche Drohung gegen den ganz verblüfften Bauer ausgestoßen, war vom Wagen heruntergesprungen und im Dickicht des Waldes verschwunden.

Gänswürger und Gump waren zwei von den Räubern, die den Mord bei Meilenhofen ausgeführt hatten, der dritte Teilnehmer wurde nicht ermittelt. Die Geständnisse Gumps, in denen er nachmals seine und Gänswürgers Schuld unumwunden einräumte, haben über die Person des dritten Gefährten zu keinem Aufschluss geführt. Seine Angabe einem Gendarmen gegenüber, ein gewisser Johann Höckner, ein Landsmann von ihm, sei mit dabei gewesen, hat er, wie wir gleich sehen werden, zurückgenommen, so dass die Untersuchung gegen Höckner eingestellt werden musste. In einem Verhöre vor Gericht hat er sich über den Raubanfall so ausgelassen: »Am 10. Dezember 1872, eines Dienstags, war ich im Geisenfelser Forste mit Gänswürger nach längerer Trennung wieder zusammengetroffen.

Er hatte noch einen Menschen bei sich, einen Burschen von mittlerer Statur in den dreißiger Jahren, der von Fahlenbach sein sollte. Wir kannten uns nicht gleich, als wir einander trafen, und riefen uns an mit: »Halt, wer da!' Beim Näher kommen erkannten wir uns. Ich trug damals einen Lefaucheuxzwilling und einen sechsläufigen Revolver bei mir. Gänswürger gebärdete sich wie toll. So schoss er aus purem Mutwillen auf einen Hund und äußerte mehrmals: ›Heut muss alles hin werden, was mir in den Weg kommt! ‹ Gegen Morgen kamen wir nach Lindkirchen und gingen in ein Wirtshaus, wo wir zuerst einige Maß Bier, dann sechs bis acht Flaschen Wein tranken. Unsere Gewehre hatten wir außerhalb des Dorfes in einem Baume versteckt. Als wir uns sattgetrunken hatten, brachen wir auf in der Richtung nach Mainburg. Gänswürger war kreuzfidel, und auch ich machte einigem Spaße. Gänswürger sagte: ›Heute muss das Geschäft recht gehen! ‹«

Gump erzählte dann die beiden Überfälle auf der Straße nach Mainburg genau so, wie sie die Zeugen Ullinger und Neumaier dargestellt hatten, und fügte nur noch hinzu: »Nicht ich, sondern, so wahr Gott lebt, Gänswürger schoss die beiden Bauern nieder, und zwar so rasch wie der Blitz. Ich fürchtete, er wollte auch noch den dritten totschießen. Er stürzte sich wie ein Tiger auf die beiden Leichen. Der dritte von uns, so wahr Gott lebt, war nicht der Höcknerhans. Die Gendarmen haben wegen dieses Höcknerhans fortwährend in mich hineingebohrt, und so sagte ich endlich Ja, um nur Ruhe zu bekommen.

Ich habe diesen Dritten nach dem Morde bei Meilenhofen nicht mehr gesehen, und da ich durch die Leute erfuhr und auch in den Zeitungen las, dass in der Nähe von Mainburg ein schon verwester und von den Füchsen angefressener Leichnam gefunden worden sei, so hegte ich den Verdacht, Gänswürger habe den Dritten ermordet und ausgeraubt. Gleich nach dem Morde fing ich an, die Tat zu bereuen.

Ich machte, als wir die Straße verließen und nach dem Walde gingen, dem Gänswürger Vorwürfe über sein mörderisches Werk. Dieser aber ließ sich keine Reue beikommen. Er sagte nur: ›Wenn dir's nicht recht ist, mach ich's mit dir gerade so.‹ Er kam von neuem so in die Wildheit hinein, dass er wieder auf die Straße wollte und selbst im Walde noch mehrere Schüsse abfeuerte. Ich schrie, er sei ein Mörder und des Todes schuldig; darauf zankte er mich aus und wollte seinen Revolver aus der Tasche holen. Wir gerieten in ein Handgemenge. Gänswürger riss dem Dritten einen Ärmel aus dem Rocke, mir schlug er seinen Stutzen auf dem Rücken entzwei und warf heftig fluchend die beiden Stücke gegen einen Baum.

Später versöhnten wir uns, wir setzten uns im Walde nieder und teilten die Beute. Gänswürger erhielt den größten Anteil, der Dritte bekam nur siebenundzwanzig Gulden. Mir ekelte vor Gänswürger; ich würde auch nicht länger mit ihm weitergegangen sein, wenn ich nicht gefürchtet hätte, dass er noch viele Menschen umbrächte; das wollte ich verhindern. Er hatte allen Bauern Rache geschworen, weil er und sein Bruder früher einmal bei einem Diebstahl von Bauern ergriffen, an einen Baum gebunden und mit Mist- und Heugabeln misshandelt worden waren. Er hatte auch gelobt, nicht früher aus Bayern wegzugehen, als bis er dreißigtausend Gulden zusammengeraubt hätte. «

In der Nähe von Meilenhofen und Mainburg war den Räubern nach dieser Tat der Boden zu heiß geworden. Deshalb hatten sie diese Gegend so eilig als möglich verlassen. Die beiden – der Dritte blieb für immer verschollen – tauchten dann im Januar 1873 auf dem Schauplatze ihrer früheren Tätigkeit im schwäbischen Donaumoose wieder auf und wurden zur Landplage für die dortige Bevölkerung. Nacheinander wurden am Abend des 14. Januar auf der von Marxheim nach Bertoldsheim führenden Landstraße der Söldner Andreas Wegner, der Schneider Lorenz Müller und Joseph Mäudl überfallen und ausgeplündert.

Jeder von ihnen wurde von zwei Männern angehalten, die plötzlich hinter einem Baum vorsprangen, ihm die Pistole auf die Brust setzten und unter Todesdrohungen Geld verlangten. Ohne sich zu weigern, gab jeder sofort hin, was er bei sich trug. Ein gewisser Leitmaier zeigte etwas mehr Mut, er wollte sich nicht ohne weiteres ausrauben lassen, aber es bekam ihm schlecht. Im Augenblicke schlug ihn einer der Räuber mit dem Gewehrkolben auf den Kopf, so dass er bewusstlos niedersank. Nun wurde ihm alles abgenommen, was er an klingender Münze bei sich führte. Die Beute war freilich bei allen diesen Überfällen sehr gering, mitunter bestand sie sogar nur in wenigen Kreuzern. Desto ergiebiger fiel ein Raubzug aus, den Gump und Gänswürger am 16. Januar unternahmen. Dieses Verbrechen ist zwar von Gump geleugnet worden, man weiß nicht, aus welchen Gründen, aber es besteht kein Zweifel darüber, dass er und sein Genosse es verübt haben.

An dem genannten Tage gingen die Gütler Michael und Lorenz Guisl zusammen mit Joseph Bauer auf der von Lensching nach Vohburg führenden Straße, um den Viehmarkt in Neustadt zu besuchen. Plötzlich standen zwei vollständig vermummte und mit Gesichtsmasken versehene schwarzgekleidete Kerle vor ihnen, schlugen ihre Gewehre auf sie an und riefen gebieterisch: »Legt ab! « Zitternd gehorchten die Überfallenen. Auf den Befehl der Räuber legten sie ihre Barschaft auf den Boden: Michael Guisl einen Geldgurt mit einhundertundachtzig Gulden, Lorenz Guisl eine Geldtasche mit elf Gulden, Joseph Bauer einen Geldgurt mit zweihundertundfünfundachtzig Gulden. Die beiden Unbekannten nahmen das Geld an sich, der eine von ihnen gebot den Beraubten, die nach Hause zurückkehren wollten, mit ausgestreckter Hand: »Nicht dahin! Hier herunter! « und zwang sie auf diese Weise, einen anderen Weg einzuschlagen. Bald darauf waren die beiden Räuber ihren Blicken entschwunden.

Diese so schnell aufeinander folgenden und mit so unerhörter Frechheit ausgeführten Raubanfälle vergrößerten den Schrecken, der sich seit dem Morde bei Meilenhofen noch nicht gelegt hatte, und verbreiteten das Gefühl der Angst und der Unsicherheit in allen Ortschaften des Donaumooses. Wiederum machte man die möglichsten Anstrengungen, die beiden Bösewichte, die das Gerücht nun schon an die Spitze einer Bande stellte, einzufangen, wiederum wurde von der Gendarmerie in allen verdächtigen Häusern, in den großen Wäldern und in den Mühlen genau nachgesucht, ja um das Gebiet, in dem sie sich aufhalten sollten, eine Kette von Polizeibeamten gezogen.

Aber alles war umsonst. Gump und Gänswürger wussten Bescheid. Manche Winternacht brachten sie allerdings in einem dunklen Walde, unter einem Felsen, in einer Höhle zu, aber oftmals ruhten sie auch in einem warmen Bette und wurden gastlich verpflegt. Es gab Leute genug, die ihnen entweder um hohen Lohn oder aus Furcht vor ihrer Rache ein Obdach gewahrten und sie versteckten, wenn in dem Orte Jagd auf sie gemacht wurde.

Nicht selten kamen sie zu einem Einödbauern, gaben sich ihm zu erkennen und verlangten von ihm Herberge, Essen und Trinken. Er gab ihnen, was sie begehrten, verbarg sie vor der Polizei, und auch wenn sie ihn längst verlassen hatten, wagte er kein Wort von den furchtbaren Gästen zu sagen. Gump unterhielt sich einmal drei Stunden lang mit einem Manne, der später als Zeuge auftrat, und bedrohte ihn unausgesetzt mit der gespannten Pistole. Er zwang ihn, sich zu ihm zu setzen, ihm alle Auskunft zu geben, die Gump haben wollte, und entließ ihn sodann mit der Warnung, bei Verlust seines Lebens von dem Zusammentreffen kein Wort verlauten zu lassen.

Aber auch Liebe wussten sich die beiden gefürchteten Bösewichter zu erzwingen, denn nicht leicht getraute sich ein Mädchen, einem von ihnen seine Gunst zu verweigern. So hatte Gänswürger eine Geliebte, die in der ungefähr zwölftausend Einwohner zählenden Festung Ingolstadt in Diensten stand, und war keck genug, die Stadt zu besuchen, sich ganz behaglich mit seinem Mädchen in einer Kneipe niederzulassen und dort mit ihr zu kosen. Das Mädchen versicherte später, Gänswürger habe ihr nie gefallen, aber sie habe sich nicht getraut, seinen Umgang zurückzuweisen, weil er zu allem fähig gewesen wäre.

Oft war Gump nicht selten ganz in der Nähe der nach ihm suchenden Polizeidiener und befand sich manchmal mit ihnen nicht nur in demselben Dorf, sondern sogar in demselben Haus. So hatte er z.B. an dem Schuster Joseph Maier und dessen Frau Anna in Reichertshofen zuverlässige Freunde, die diese Freundschaft später freilich mit mehrjährigem Zuchthause büßen mussten. Am 6. Januar war er gerade bei ihnen, als eine allgemeine Streife in dem genannten Orte angeordnet worden war.

Die Polizei kam auch in das Maiersche Gehöft, und Gump hatte gerade noch Zeit, sich von der warmen Ofenbank, auf der er seinen Revolver liegen ließ, durch ein Fenster in den Hof und von da durch die Hintertür eines Stalles zu flüchten. In seinem Heimatdorfe Walding hatte Gump in der Behausung des Kolonialwarenhändlers Joseph Weckerle und seiner Frau Franziska eine förmliche Niederlage. Wertgegenstände, Geld, Leinwand, Kleider, Fleisch, Kartoffeln, kurz alles, was er und Gänswürger erbeuteten, wurde zu Weckerle hingeschafft, der die Waren mit den anderen weiterverkaufte und den Räubern dafür Waffen und Munition gab.

Gump hatte hinter einer eigens für ihn in einem Stalle gefertigten Doppelwand seinen Unterschlupf. Dort war er sicher und bequem untergebracht. Er gestand selbst, dass ihn die Gendarmen wohl fünfzehn- bis sechzehnmal dort gesucht hätten, während er im Heu lag. Übrigens war Gump auf diese Helfershelfer nicht besonders gut zu sprechen, vermutlich weil sie ihn, wie die Hehler zu tun pflegen, nach allen Regeln der Kunst ausgesogen hatten.

Er musste ihnen alles mögliche zuschleppen, so dass sie geradezu auf seine Kosten lebten, und namentlich die schon siebzigjährige Franziska Weckerle trieb ihn zu immer neuen Verbrechen an und fragte jedes Mal, wenn er wiederkam, was er ihr mitgebracht habe, sie sei alt und krank, er müsse besser für sie sorgen. Eine warme Suppe, die sie ihm eines Tages kochte, als er ganz erfroren bei ihr eintrat, musste er mit mehreren Talern bezahlen. Seinen Erzählungen lauschte sie mit wahrer Wonne und konnte nicht genug von seinen Abenteuern hören. Gump äußert in einem Verhör, es sei gewesen, als ob der leibhaftige Teufel ihr aus den Augen geschaut hätte; wenn sie nicht gewesen wäre, hätte er manches nicht begangen. Die beiden wurden denn auch später wegen Hehlerei zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt.

Ob nicht bloß Gump, sondern auch Gänswürger bei Joseph Maier in Reichertshofen und bei Joseph Weckerle in Walding ein willkommener Gast gewesen ist, hat nicht festgestellt werden können. Dagegen ist erwiesen, dass beide mit einem gewissen Gersthauser und dessen Frau in freundschaftlicher Verbindung gestanden haben und von ihnen wiederholt aufgenommen und versteckt worden sind. Außerdem hatte Gänswürger Beziehungen zu dem Krämer Kufner von Karlskron, dessen Ehefrau seine Geliebte war. Kufner gestattete den Räubern den Zutritt in sein Haus, und seine Frau bewirtete sie in einem Hinterstübchen und verkaufte ihnen Lebensmittel.

Am 5. Februar 1873 wurde die Frau Kufners tot hinter ihrem Hause gefunden. An dem Leichnam zeigten sich zahlreiche Verletzungen im Gesicht, am Halse, an der Brust, an den Schultern und an der rechten Hand, die offenbar von Schroten herrührten. Als das Brusttuch weggenommen wurde, lag eine Lefaucheuxpatrone auf der nackten Brust. Da die Tote außerdem bis über die Schamteile entblößt dalag, kam man zu der Annahme, die Kufner sei geschlechtlich gebraucht worden, der auf ihr liegende Mann habe die Patrone aus der Seitentasche seines Rockes verloren, und zugleich sei – vermutlich aus Zufall – sein Gewehr losgegangen und habe den Tod der Frau herbeigeführt. In der Nähe fand man ein Messer, einen abgesprungenen Gewehrhahn, zwei Perlhuhnfedern und ein gelbes Sacktuch, in das das Haupt der Frau gehüllt gewesen war.

Schon am nächsten Tage, morgens halb sechs Uhr, fand man dann in der Nähe von Mansing die durch eine Schusswunde an der rechten Seite des Kopfes grässlich entstellte Leiche eines Mannes, den man bald als den längst gesuchten und allgemein gefürchteten Gänswürger erkannte. Der Tote war bekleidet mit Beinkleidern und einer Weste vom gleichen Stoff, einem Tuchjackett und einem Winterüberzieher von Buckskin; um den Hals trug er einen wollenen Schlips.

Was die Frau Kufner betraf, so bezeichnete die Stimme des Volkes mit aller Bestimmtheit den Ehemann als Mörder oder doch als den Anstifter des Mordes. Beide Eheleute hatten schon seit vielen Jahren in Unfrieden gelebt, einander die Treue gebrochen und sich infolgedessen innerlich immer mehr und mehr entfremdet. Zeugen, die vernommen wurden, sagten aus: »Sie war bei den Männern, was er bei den Weibsbildern war; sie sind beide nebeneinander hinausgegangen, und das war doch keinem recht. « Namentlich in der letzten Zeit hatte der Mann seine Frau barsch und roh behandelt, sie verschiedene Male bedroht, und eines Tages war es sogar zu ziemlich heftigen Tätlichkeiten gekommen: die Frau hatte einen Tabakreiber nach Kufner geworfen, und der Mann hatte eine Mistgabel mit solcher Gewalt gegen sie geschleudert, dass sie ein Scheffelmaß, das sie schützend vor sich hingehalten, durchbohrt hatte.

Die verehelichte Kufner war, wie wir bereits wissen, die Geliebte Gänswürgers gewesen. Er hingegen hatte sich durch den Umgang mit seiner Dienstmagd, einer hübschen jugendlichen Dirne, entschädigt, die, durch die Gunst ihres Dienstherrn keck geworden, der Frau nicht den erforderlichen Respekt bewiesen hatte. Die Kufner war im höchsten Grade eifersüchtig auf die Magd gewesen, hatte es aber nicht dahin bringen können, dass sie entlassen worden war, und hatte sie nun mit ihrer Rache und ihren Drohungen dauernd verfolgt.

Diese andauernden Zwistigkeiten der Eheleute, die allmählich die Herzen beider mit Hass erfüllt hatten, legten die Vermutung nahe, dass Kufner beim Tode seiner Frau beteiligt sei. Es kamen aber noch andere Umstände hinzu, die ihn schwer belasteten. In derselben Nacht, in der der Mord verübt worden war, hatte er zusammen mit dem Gütler Hufnagel und den Bauern Wimmer, Six und Schalk in Karlskron die Nachtwache gehabt.

Hufnagel hatte den Krämer Kufner abgeholt und ihm von der Straße aus zugerufen, es sei Zeit, er möge herauskommen. Kufner war noch nicht vollständig angezogen gewesen und hatte den Zeugen genötigt, einzutreten. Als Hufnagel die Tür der Wohnstube geöffnet hatte, hatte er die Frau Kufner noch im Zimmer gesehen, gleich darauf aber hatte sie sich entfernt, das Haus verlassen und war nicht wiedergekommen. Während Hufnagel mit Kufner allein im Zimmer gesessen hatte, war leise an den Fensterladen geklopft worden. Kufner war hinausgegangen, hatte die Türen zur Stube und zum Hause offen stehen lassen und sich im Hofe umgesehen, war dann wieder hereingekommen und hatte gesagt: »Jetzt weiß ich nicht, was das gewesen ist. « Beide waren dann hinausgegangen, ohne dass Kufner sich weiter um seine Frau gekümmert hätte. Nach einiger Zeit waren sie mit den anderen Wachen zusammengetroffen und in das Dorf hinuntergegangen.

Sie selbst hatten während der Nachtwache keinen Schuss fallen hören, aber die Wächter, die sie dann abgelöst hatten und ihnen entgegengekommen waren, hatten sofort gesagt: »Habt ihr nicht schießen hören? « Nach vollbrachter Wache waren die anderen mit Kufner bis an sein Haus gegangen. Er hatte sie gebeten, sie möchten doch ein wenig warten, er wolle nur das Vieh füttern und dann mit ihnen wieder fortgehen.

Die Haustür war verschlossen gewesen, er hatte daher an das Fenster der Kammer geklopft, in der für gewöhnlich seine Frau schlief. Es war keine Antwort erfolgt. Hierauf hatte er an den Fensterladen des Wohnzimmers geklopft, weil er dort die Magd vermutet hatte. Diese hatte geöffnet und auf die Frage, wo ihre Herrin sei, angegeben, sie werde in ihrer Kammer sein. Aber weder dort noch im übrigen Hause war sie gewesen. Nun hatte die Dienstmagd gesagt: »Die ist fort, die kommt nicht wieder. Wenn sie wiederkommen wollte, wär' sie längst schon da! « Die Männer hatten Licht gemacht und im Hause, im Stadel und dessen nächster Umgebung gesucht, aber keine Spur entdeckt. Kufner hatte die anderen gebeten, bei ihm zu bleiben, weil ihm die Sache unheimlich vorkomme. Einer von ihnen war auch bis fünf Uhr früh bei ihm gewesen, dann aber nach Ingolstadt gegangen, wo er von dem Auffinden der Leiche gehört hatte.

Zwei andere Zeugen, Franziska und Barbara Lex, Verwandte von Kufner, berichteten, Kufner sei früh um sechs Uhr zu ihnen gekommen, habe gejammert, dass seine Frau verschwunden sei, und sie gebeten, bei ihm zu bleiben. Sie hatten ihn begleitet und waren dabei gewesen, als die Leiche hinter dem Hause gefunden worden war. Kufner, der vorher so ängstlich und besorgt gewesen war, hatte sich nun allerdings auffällig benommen. Barbara Lex bekundete, er habe sich gar nicht weiter um die Sache bekümmert, sondern seine Ladengeschäfte besorgt, als ob ihn dies alles nichts anginge. Der Bauer Wimmer sagte, Kufner habe zwar ab und zu gejammert, aber während die Leiche hereingeschafft worden sei, habe er sich auf das Bett gelegt und Zigarren geraucht.

Mehrere Personen wollten übrigens einen Schuss, aber nur einen einzigen, gehört haben, und eine andere Zeugin glaubte zwei dumpfe Töne, die sie für Schüsse gehalten hätte, vernommen zu haben.

Am 22. April 1872, also fast drei Monate nach der Tat, wurde dann eine deutlichere Spur entdeckt. Als bei dem Schuster Joseph Meier in Mendelfeld wegen seiner Beziehungen zu Gump eine Haussuchung stattfand, fand man bei ihm ein Zwillingsgewehr und einen Gewehrhahn. Der Hahn glich völlig dem Hahne, der in der Nähe der toten Frau Kufner gelegen hatte, beide Hähne waren graviert wie das Gewehr und stimmten auch dazu, wie auch die in der Leiche der Kufner gefundenen Rehposten genau zu dem Gewehr passten: es war also höchst wahrscheinlich das Werkzeug des Mordes gewesen.

Gleichzeitig erfuhr man von einem anderen mit Gump in Verbindung stehenden Manne, dem Joseph Weckerle, dass er dieses Zwillingsgewehr um Weihnachten 1872 bei Gump gesehen habe und Gump am 5. Februar 1873, dem Tage nach dem Morde, zu ihm gekommen sei und bei der Gelegenheit erzählt habe: »Gänswürger wollte auf mich schießen, aber es sprang ihm der Hahn weg, da hab' ich doch gesehen, dass mich unser Herrgott noch lieb gehabt hat.«

Mehr konnte man indessen vorläufig nicht von der Mordsache ermitteln. Gump unternahm währenddem nach dem Tode seines Freundes Gänswürger eine Reihe neuer Diebstähle, und bald ereignete sich auch wieder ein tragischer Vorfall, der ein weiteres Menschenleben kostete.

Mitten auf der Wiesen- und Moorgrundfläche, die sich zwischen dem an der Landstraße weit hingedehnten Orte Karlskron im Landgerichtsbezirk Neuburg an der Donau, dem sogenannten Adelshäuser Erlholze und dem Waldinger Wäldchen gegen die Berge zu hinzieht, lag etwa zehn Schritte von der Landstraße entfernt ganz einsam ein kleines Häuschen. Es gehörte dem Jäger Nikolaus Pleiner von Eschelbach und wurde von seinen beiden Kindern Therese und Ursula bewohnt. Der Vater stand im Dienste des Grafen Törring-Eschelbach und wohnte in Eschelbach; Ursula war eine Schwägerin des Eduard Gänswürger.

Dessen Bruder Andreas war ebenfalls in enge Berührung mit den Strafgerichten gekommen und wegen Diebstahls zu mehreren Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Er war, nachdem er einen Teil seiner Strafe verbüßt hatte, beurlaubt worden, hatte sich nach Karlskron gewendet und dort die Ursula Pleiner geheiratet. Bald darauf aber war er vermutlich wegen schlechter Führung wieder eingezogen und in das Zuchthaus zu Kaisheim eingeliefert worden. Seine Frau und deren Schwester Therese, die zwei außereheliche Kinder hatte, bewohnten nun das erwähnte Häuschen allein. »Am 21. März 1873«, so gibt Therese Pleiner über den Vorfall selbst an, »war meine Schwester Ursula zu meinem kranken Vater auf Besuch gegangen, und ich war mit den Kindern allein zu Hause. Nachts um zwölf Uhr wurde an das Fenster geklopft und leise gerufen: ›Die Gendarmen sind da! ‹ Ich machte sofort auf, denn Gendarmeriestreifen waren damals in unserer Gegend etwas Alltägliches.

Es war aber kein Gendarm da, sondern ein Mann mit einem Vollbarte. Er hatte einen Revolver in der Hand und sagte zu mir, er sei der Seitzenfendl, ich müsse ihm eine Suppe kochen. Vor fünf bis sechs Jahren hatte ich den Ferdinand Gump gesehen, und ich erinnerte mich seiner als eines Menschen mit blonden Haaren. Seit jener Zeit hatte ich ihn aber nicht wieder gesehen, und ich würde ihn in dem schwarzbärtigen Menschen nicht wieder erkannt haben. Als er mir seinen Namen nannte, fiel mir gleich das Schicksal der Kufner ein. Ich wagte es nicht, ihn abzuweisen oder seine Bitte abzulehnen, denn ich war ohne männlichen Schutz und fürchtete, er würde mir ein Leid zufügen.

Deshalb ließ ich ihn eintreten, kochte ihm einen Kaffee, den er trank, gestattete ihm, sich in der Kammer in mein Bett zu legen, und legte mich auf seinen Befehl hin zu ihm. Ich musste aber gleich wieder aufstehen, weil die Kinder in der Stube anfingen zu schreien. Gleich darauf holte mich Gump mit Gewalt wieder in die Kammer und zog mich von neuem zu sich in das Bett. Ich hätte ihm nichts abgeschlagen, weil ich zu große Furcht vor ihm hatte, aber kaum lag ich bei ihm, da klopfte es an das Fenster, und wieder hieß es: ›Die Gendarmen sind da!‹ Gump sagte drohend: ›Du machst nicht auf, sondern lügst den Gendarmen vor, ein Kammerfensterer sei bei dir.‹ Ich tat, wie er mir geheißen hatte.

Einen Augenblick glaubte ich mich unbewacht, ich wollte die Haustür öffnen und die Flucht ergreifen, aber Gump bemerkte mein Vorhaben noch zu rechter Zeit und hinderte mich, es auszuführen. Ich wusste mir nun vor Angst nicht mehr zu helfen und kroch mit meinen Kindern unter das Bett. Gleich darauf wurde in die Stube hinein und aus der Stube hinausgeschossen. Ich hörte eine Stimme: ›O weh, ich bin getroffen! ‹ Darauf sah und hörte ich nichts mehr. Ich blieb noch lange unter dem Bett liegen, endlich aber fror mich gar zu sehr. Ich kroch wieder hervor, und nun war Gump weg und alles still. «

Am folgenden Tage wurde das Häuschen durchsucht. Man fand die allerärmlichste Einrichtung, aber außer einigen Männerhemden, über deren Erwerb die Therese Pleiner sich nicht genügend ausweisen konnte, nichts weiter Verdächtiges. Man nahm an, dass Gump öfter zu der Pleiner gekommen sei, eine Liebschaft mit ihr unterhalten, ihr auch einen Teil seiner Beute zugesteckt und sie ihm dafür die Wäsche besorgt habe. Sie wurde deshalb als Hehlerin verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis zu München eingeliefert.

Aber auch hier blieb sie standhaft dabei, dass sie den Gump seit fünf bis sechs Jahren nur jenes einzige Mal, eben in der Nacht vom 21. zum 22. März, gesehen und nie mit ihm in vertrautem Verkehr gestanden habe. Sie wies auf ihre Armut hin und sagte, wenn das wahr wäre, was man vermutete, so würde sie nicht in so bitterer Not sein. Mit inniger Liebe gedachte sie in den Briefen aus dem Gefängnis ihrer Kinder, empfahl sie der Obhut der Schwester und ermahnte sie zur Frömmigkeit.

Sie sollte ihre Kinder nicht wieder sehen. Am 8. Oktober 1873 erkrankte sie an der Cholera und starb noch am nämlichen Tage. Gump war, als er von diesem Todesfall erfuhr, sehr betroffen; die Angaben der Verstorbenen bestätigte er übrigens, und er versicherte insbesondere, die fraglichen Hemden erst an dem Abend, an dem er zum ersten Mal zu ihr gekommen sei, mitgebracht zu haben.

Auch die Aussagen der Gendarmen deckten sich mit denen der Therese Pleiner. Die Stationskommandanten von Reichertshofen, August Leupold und Anton Bauer, hatten in jener Nacht mit etwa fünfzehn Mann eine Streife beschlossen, um den Räuber endlich einzufangen. Das Adelshäuser Erlholz, die Kolonie Waldheim, Feuchtheim und Plebheim waren abgesucht, aber nichts Verdächtiges entdeckt worden. Leupold war schon im Laufe des Tages in dem Pleinerschen Hause gewesen, weil er wusste, dass dort Verwandte von Gänswürger wohnten, und nachts zwischen ein und zwei Uhr war ihm plötzlich eingefallen, das Häuschen nochmals zu untersuchen.

Er hatte geglaubt, das umso unbedenklicher tun zu können, als trotzdem die Postenkette vollständig blieb und man überdies annahm, dass Gump vor zwei Uhr nachts seinen Schlupfwinkel nicht verlassen werde. Zusammen mit dem Stationskommandanten Bauer hatte er an den Fensterladen geklopft und gerufen: »Urschel, mach auf! « Beide hatten darauf die Stimme eines Mannes vernommen: »Sag, es sei ein Kammerfensterer bei dir. « Therese Pleiner hatte auch herausgerufen, sie habe einen Liebhaber bei sich, hatte aber seinen Namen nicht genannt. Nun hatten sich beide Gendarmen, das gespannte Gewehr in der Hand, an den Ecken des Hauses aufgestellt, und jeder hatte eine Seite im Auge behalten.

Es war aber so finster gewesen, dass man nichts hatte erkennen können als das Blitzen der Gewehrläufe. Plötzlich war an der Seite, wo der Stationskommandant Bauer gestanden hatte, ein Fensterladen aufgeflogen, einige Sekunden lang war alles still geblieben, dann aber hatte ein Schuss gekracht, ein zweiter Schuss war gefolgt, und zugleich hatte Bauer, der auch zweimal geschossen hatte, gerufen: »Gustl, Gustl, o weh, ich bin getroffen!« Leupold war seinem schwer getroffenen Kameraden zu Hilfe geeilt, der trotz der Wunde und der schrecklichen Schmerzen, die er litt, noch pfeilgerade an dem Fenster gestanden hatte, aus dem der Schuss gefallen war, und es noch immer bewacht hatte.

Nachdem er ihm den ersten nötigen Beistand geleistet hatte, war er um das Haus herumgegangen und hatte die Stalltür verriegelt, so dass der Verbrecher, wenn er noch im Hause war, nun nur noch durch das Fenster hätte entweichen können. Aber es war schon zu spät gewesen. Gump hatte sich unmittelbar nach dem Abfeuern der beiden Schüsse auf Bauer durch die Stalltür auf- und davongemacht. Als Leupold zu der Postenkette gegangen war, um von dort Mannschaften zu holen, hatten aus einer Entfernung von etwa zweihundert Schritt zwei Kugeln an ihm vorübergepfiffen, und ein Mensch hatte mit verstellter Stimme, die der Gendarm aber doch als die des Gump erkannt hatte, gerufen: »Wart, ich will euch schießen lehren, ihr Sakramentslumpen!« Alle weiteren Nachforschungen waren in der Dunkelheit vergeblich gewesen. Gump hatte den nahen Wald erreicht gehabt, in dem er viel besser Bescheid wusste als seine Verfolger, und war wieder einmal in Sicherheit gewesen.

Inzwischen hatte der Gendarm Bauer sich nicht länger aufrecht erhalten können. Er war kraftlos zusammengebrochen und hatte ohnmächtig im Blute schwimmend vor dem Hause gelegen. Leupold und einige von der Mannschaft hatten schnell eine Bahre zurechtgemacht und ihn nach Karlskron getragen. Dort war er wieder zu sich gekommen und hatte vernommen werden können.

Er hatte den Vorfall genau so erzählt, wie wir ihn eben geschildert haben, und die Vermutung ausgesprochen, dass auch einer der Schüsse, die er abgefeuert hatte, getroffen und den Gump verwundet habe. Das war jedoch nicht der Fall gewesen. Der andere dagegen hatte trotz der Finsternis nur zu richtig gezielt und nur zu gut getroffen gehabt, und er hatte das auch gewusst, wie später bekannt wurde, denn nachdem er in seinem Versteck bei Joseph Weckerle angekommen war, hatte er sich nicht bloß nach dem Schicksal der Therese Pleiner, sondern auch nach der Schwere der Wunde, die er dem Stationskommandanten Bauer zugefügt hatte, erkundigt. Die Kugel des Wildschützen war durch den linken Arm gegangen, in die Brust eingedrungen und dort zwischen der sechsten und siebenten Rippe sitzen geblieben.

Am 12. April 1873 starb Bauer im Krankenhause zu Ingolstadt an der Wunde und wurde als Opfer treuer Pflichterfüllung allgemein betrauert. Unter der Teilnahme einer großen Menschenmenge wurde er beerdigt. Auch Gump befand sich, wie er später eingestanden hat, unter den Leidtragenden. Er hatte sich in der Uniform eines bayrischen Infanteristen in die Stadt gewagt und dem Trauergefolge angeschlossen. Niemand hatte in dem uniformierten Soldaten den Mörder erkannt, ja es wäre nicht einmal jemand eingefallen, dass Gump so maßlos verwegen hätte sein können.

Der Mord des Gendarmen war ein neuer Anreiz für die Polizei, alles daranzusetzen, um den Mörder endlich zu ergreifen. Schon damals, als Gänswürger noch lebte, war von München aus ein Regierungskommissar abgeordnet worden, damit der ganze Apparat, den man aufgeboten hatte, um die beiden Verbrecher unschädlich zu machen, von einer Hand in Bewegung gesetzt würde.

Jetzt nun schworen die Kameraden des verstorbenen Bauer dem Mörder Rache und streiften mit verdoppelter Wachsamkeit durch das ganze Donaumoos, um seiner habhaft zu weiden. Ganze Dörfer zogen aus, und militärisch organisierte Postenketten umstellten alle Schlupfwinkel, in denen man ihn vermutete. Mehrere Male fand man denn auch wirklich das Lager fast noch warm, auf dem er geruht hatte. Man sprach von Höhlen, in denen er hausen sollte, wie seinerzeit sein berühmter Vorgänger, der Raubmörder Masch in Preußen. Mitunter hieß es sogar, Gump sei der Gerechtigkeit in die Hände gefallen, an dem und dem Orte sei er verhaftet worden.

Aber stets stellte sich heraus, dass es nur ein Gerücht war. Man hatte einen Vagabunden oder einen gewöhnlichen Dieb festgenommen, aber nicht den Haupt- und Erzspitzbuben, auf dessen Fang alle Welt hoffte. Gump entging allen Verfolgungen, oft genug auf fast wunderbare Weise. Dabei trieb er sich nicht etwa bloß in den Einöden und den Wäldern umher, sondern ging in die Dörfer und auf die Märkte, um einzukaufen, was er am nötigsten brauchte, also vor allem Pulver, Blei und Lebensmittel.

Sein hauptsächlichster Erwerb war die Jagd. Da es viel Wild in jener Gegend gab, fehlte es dem Schützen auch nicht an Beute, für die er überall willige Abnehmer fand. Aber auch sonst gab er sehr handgreifliche Beweise dafür, dass er noch immer frei war und auf dem Kriegsfuße mit der bürgerlichen Gesellschaft stand.

So brach er am 18. Mai 1873, eines Sonntags, während der Kirchzeit aus der Mauer eines Stadels, der dem Gütler Johann Seemüller in Otterswied gehörte, acht Ziegelsteine heraus, riss ein Brett los, gelangte auf die Weise in den Stadel, von da aus in das Wohnhaus, sprengte eine Kammertür, zwei Kleiderkästen, dann noch eine Kammertür auf und nahm mit, was er fand: Kleidungsstücke, bares Geld, eine Uhr, ein Zwillingsgewehr, ein Pulverhorn, Pulver, ein Messer, einen Rosenkranz, goldene Ringe, silberne Nadeln und anderes. Am 27. Mai stattete er dem Gütler Baumann in Lowindenbuch in derselben Art einen Besuch ab und raubte auch dessen Haus aus.

Am 1. Juni, am Pfingstsonntag, bedrohte er die Witwe Anna Büchl und deren dreizehnjährigen Sohn in Daderhof bei Pfaffenhofen mit Erschießen und zwang dadurch den Knaben, der vor dem Hause stand, ihm ein Gewehr zu überlassen. Die Witwe hatte sich in das Haus geflüchtet und zugesperrt. Zum Glück widerstand die feste Tür den Versuchen Gumps, sie einzuschlagen, so dass er sich unverrichteter Dinge entfernen musste.

Am nächsten Tage kam er des Nachmittags um zwei Uhr zur Bauersfrau Maria Ettenhuber in Oberkauterbach und erpresste von ihr, indem er ihr gleichfalls das geladene Gewehr entgegenhielt, die Summe von achtundzwanzig Gulden. An demselben Nachmittag begegnete er dem Bauerssohne Gappelmaier, der nach Brunnen ging und am Stocke ein Fässchen mit Branntwein trug.

Er schlich sich von hinten heran, nahm das Fässchen ohne weiteres vom Stocke ab, und als Gappelmaier sich sehr verwundert umdrehte, stellte er sich ihm mit der freundlichsten Miene von der Welt als Ferdinand Gump vor, spielte aber dabei in so gefährlicher Weise mit seinem Gewehr, dass der Bauer jeden Moment befürchtete, es würde losgehen und ihn treffen. Er ließ den Branntwein im Stiche und lief, was er laufen konnte, um nur aus der Nähe des gefährlichen Menschen zu kommen.

Am 4.Juni 1873 endlich telegraphierte der Gendarm Voit an den in Ingolstadt weilenden Untersuchungsrichter: »Gump soeben, abends neun Uhr, in Wolnzach verhaftet. « Diesmal war die Nachricht begründet: den Räuber und Mörder hatte sein Schicksal ereilt. Die schriftliche Anzeige, in der der Vorfall genau geschildert wurde, lautete folgendermaßen: »Schon mehreremal war beobachtet worden, dass Gump abends nach Eintritt der Dunkelheit nach Wolnzach kam und verschiedenes einkaufte. So war er eines Tages im Laden der Krämerin Erker gewesen und hatte, als er hatte zahlen wollen, einige Münzen zu Boden fallen lassen.

Er hatte sie schnell aufgehoben und gesagt, es seien geweihte Münzen, die den, der sie bei sich führte, vor jeder Not schützten. Am Abend des 4. Juni nun kam er wieder nach Wolnzach und schickte ein kleines Mädchen auch in den Laden der Frau Erker mit dem Auftrag, ein weißes Sacktuch für ihn zu kaufen. Er selbst erwartete die Rückkehr des Kindes auf den Marktplätzen. Als er dort stand und sich umsah, bemerkte er die Uniform eines Gendarmen – Löffler – und machte sich sofort auf den Weg, der aus dem Orte ins Freie fühlte.

Allein schon war er bemerkt worden. Die Gendarmen Löffler und Voit setzten ihm nach, Voit feuerte sechsmal seinen Revolver auf den Fliehenden ab und rief den Einwohnern von Wolnzach, die, durch den Lärm und das Schießen erschreckt, aus den Häusern stürzten, zu: ›Fangt ihn, es ist der Gump!‹ Der Räuber wusste, dass es um sein Leben ging, mit voller Kraft eilte er deswegen wie ein gehetzter Hirsch durch die Straßen und wäre sicher auch entkommen, wenn sich ihm nicht zwei mutige Bürgerssöhne entgegengeworfen hätten. Als er am Hause der Frau Glück vorüberstürmte, vertraten ihm Georg Glück und der Schüfflergeselle Horn den Weg. Der letztere warf ihn zu Boden, wurde aber von Gump mit einem langen Messer in den linken Arm und in die Schläfe gestochen und so verwundet, dass er ihn loslassen musste. Gump, der keine Zeit zu verlieren hatte, schnellte in die Höhe und wollte weiterrennen, aber Georg Glück packte ihn zum zweiten Male und riss ihn zur Erde nieder.

Ehe er sich von ihm losgemacht hatte, waren die beiden Gendarmen zur Stelle und überwältigten ihn. Er wehrte sich zwar aus Leibeskräften, bis den Gendarmen Voit in den Finger, schrie, er sei nicht der Rechte, er sei nicht Gump, endlich aber musste er sich doch ergeben. Er wurde gebunden, in die Gendarmeriewachtstube gebracht, dort sorgsam die Nacht hindurch bewacht und am anderen Tag unter sicherer Bedeckung nach München geführt. Noch auf dem Transport dahin gestand er, mit dem Gänswürger gemeinsam eine ganze Reihe von Verbrechen – so auch den Mord bei Meilenhofen – begangen und dann auch den Gänswürger erschossen zu haben.

Im Gefängnis in der Badstraße in München wurde er schnell zahm. Er fühlte offenbar, dass seine Rolle ausgespielt war, und hielt es, wie so mancher noch berühmtere Räuber vor ihm, für seiner nicht würdig, Winkelzüge zu machen und das Gericht zu belügen. Schon am 6. Juni 1873 legte er in einem Verhöre, das mit kurzen Unterbrechungen von früh acht bis abends zehn Uhr dauerte, die umfassendsten Geständnisse ab. Wir lassen es wenigstens bruchstückweise folgen, um die Ereignisse, die uns zum Teil schon berichtet worden sind, in der Darstellung des Täters – oder Mittäters – selbst kennen zu lernen.

»Ich bin der Sohn des Kolonialwarenhändlers Gump von Walding, wo ich die Werk- und Feiertagsschule besuchte. In meinem sechzehnten Jahre kam ich nach Reichertshofen zum Zimmermeister Heckersmüller, bei dem ich das Zimmerhandwerk erlernte und ein paar Jahre blieb. Dort war es, wo ich den Eduard Gänswürger, mit dem ich bereits in die Schule gegangen war, näher kennen lernte: er war bei Heckersmüller mein Mitlehrling. Dann habe ich auch im Pfarrhofe zu Oberlauterbach als Knecht gedient.

Überall bekam ich gute Zeugnisse. Schon damals, als ich und Gänswürger bei Heckersmüller waren, ist Gänswürger mit dem Christlhannes (Johann Schneider) aufs Wildern gegangen. Sie stellten mir vor, dass man sich mit dem Wildern an einem einzigen Abend mehr verdienen könne als sonst in einer ganzen Woche. Nach vielfachem Zureden Gänswürgers entschloss ich mich endlich, ihn und seinen Genossen zu begleiten. Das erste Mal ging ich ohne Gewehr.

Wir waren glücklich: Gänswürger schoss zwei Rehe, diese verkaufte er, und ich bekam aus dem Erlöse fünf Gulden. Damit war der Anfang gemacht. Zu meinem Unglück begann ich in jener Zeit auch zu spielen; ich verlor nach und nach all mein Geld, weil ich höher und immer höher spielte, und musste nun versuchen, mir auf irgendeine Weise Geld zu verschaffen. Gänswürger hatte bereits für ein Gewehr gesorgt, ich ging daher von da an öfter, teils mit ihm, teils allein, im Geisenfelder und Fahlenbacher Forste auf die Jagd und wilderte. Gänswürger und Christlhannes besorgten den Verkauf des Wildes, das teils nach München, teils nach Ingolstadt ging. Zur gleichen Zeit fing ich auch an zu stehlen. Zusammen mit meinem Bruder entwendete ich einen Baumstamm, den wir nach Hause schafften. Wir machten unserem Vater vor, dass wir den Stamm auf redliche Weise erworben hätten. Aber die Geschichte kam heraus. Wir Brüder, und mit uns der Vater, erhielten eine Strafe,

Später, als ich wiederum mein Geld verspielt hatte, stahl ich auf der Dult in Freising eine lederne Hose, ich bekam deshalb einen Monat und wegen eines anderen Diebstahls, den ich bald darauf beging, nochmals drei Monate Gefängnis. Auch wegen meiner Wildereien wurde ich zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, die ich in Ebrach abbüßte. Dies war – obwohl ich noch eine oder zwei weitere Strafen, wie ich höre, zudiktiert erhalten haben soll – die letzte Strafe, die ich wirklich absaß.

Am 1. Januar 1871 wurde ich entlassen. Als ich aus der Anstalt kam, traute ich mich vor Schande nicht mehr nach Hause und blieb deshalb bei meinem Bruder Martin Gump. Hier suchte mich der Christlhannes wieder auf – Gänswürger war inzwischen wegen Diebstahls ins Zuchthaus nach München gekommen – und mit dem Hannes, der mir einen Gebirgsstutzen verschaffte, ging ich wieder einige Wochen wildern.

Wir lebten mehrere Wochen lang in den Wäldern, in die uns die Geliebte des Hannes und deren Verwandte, die auch den Verkauf des Wildes besorgten, Decken, Lebensmittel und andere Dinge, die wir nötig hatten, brachten. Der Christlhannes schwindelte mir dazumal vor, dass er schon viel Geld beisammen habe, damit nach Amerika auswandern und mich mitnehmen wolle. Er machte jedoch keine Miene, diese Absicht auszuführen, ich entschloss mich deshalb, zu meinem Vater zu gehen und ihn zu bitten, er möchte mir doch sein Anwesen übergeben. Diese Bitte wurde mir jedoch abgeschlagen.

Ich wandte mich nunmehr an den alten Hauser und frug ihn um Rat, was ich anfangen sollte. Der alte Hauser aus Walding war mir von Jugend aus bekannt, und ich hatte die Bekanntschaft mit ihm fortgesetzt, weil die Adelheid Fuchs, die Geliebte des Christlhannes, zu seiner Verwandtschaft gehörte. Ich glaubte immer, dass er an unserer Wilddieberei ein gewisses Interesse hätte, denn vieles von dem, was wir erbeuteten, kam ihm und den Seinigen zugute.

Dieser alte Mann ist eigentlich mein Unglück gewesen. Denn ich hatte, als mein Vater die Übergabe des Anwesens an mich verweigerte, die Absicht, mir mein Muttergut im Betrage von fünfundsiebzig Gulden auszahlen zu lassen, in ein kleines Anwesen hineinzuheiraten und mich von meiner Hände Arbeit zu ernähren. Davon wollte aber der alte Kerl nichts wissen. Ich weiß noch genau, wie er auf ein an der Wand seiner Stube hängendes Gewehr zeigte und zu mir sagte: ›Fendl, da hängt mein Stutzen, den nimmst, und mit dem tust, was d' vorher getan, und mir folgst!‹ Ich habe ihm gefolgt und bin wieder ans Wildern und ans Stehlen gegangen, teils allein, teils mit anderen, bis ich endlich mit Gänswürger wieder zusammengetroffen bin, und das ist so gekommen.

Eines Abends, kurz nachdem Gänswürger aus dem Zuchthause in München entsprungen war, ging ich nach Eintritt der Dunkelheit mit einem Revolver versehen auf der Straße von Reichertshofen nach Karlskron. Da kam mir eine lange hagere Mannsperson entgegen. Ich sprang rasch von der Straße in den Graben hinab, um mir meinen Mann anzuschauen. Der aber hatte mich schon bemerkt und rief mir zu, ich solle herauskommen, er müsse sehen, wer ich sei. Ich stieg nun wieder herauf, ging mit gespanntem Revolver auf den Menschen, der mir bewaffnet zu sein schien, zu und redete ihn an.

Kaum hatten wir einige Worte gewechselt, so erkannten wir uns und waren beide hocherfreut. Gänswürger machte nun auch gleich Pläne für die Zukunft, die auf ein förmliches Räuberleben hinausgingen, wie wir es dann auch wirklich miteinander geführt haben. Er sagte unter anderem: ›Wenn du der Gescheitere bist, machst du den Hauptmann; jetzt heißt es Rache nehmen; gleich auf dem nächsten Viehmarkte muss einer hin werden. Er bat mich um zwei Gulden, und ich gab ihm in meiner Wiedersehensfreude gleich das Achtfache. «

Weiter erzählte dann Gump die von ihm und Gänswürger begangenen Verbrechen, die wir bereits kennen. Über die Ermordung der verehelichten Kufner durch Gänswürger und die des letzteren durch ihn selbst machte er folgende Angaben:

»Schon im letztverflossenen Winter sagte Eduard Gänswürger einmal zu mir, die Krämerin von Karlskron sei eine gute Bekannte von ihm und eine brave Frau, wir könnten bei ihr stets Lebensmittel und Unterkunft haben. Einige Zeit darauf teilte er mir mit, die Krämerin sei begierig, mich kennen zu lernen, und führte mich eines Sonntags in der Nacht zu ihr. Sie nahm uns freundlich auf. Wir tranken dort Wein und sind von da an öfters hingegangen.

Es ist freilich so ein Ding, wenn man einen Mann, der Haus und Hof besitzt und dem alles zugrunde geht, wenn er eine Zeitlang eingesperrt wird, ins Zuchthaus bringen soll. Ich muss es aber doch sagen, dass mit unseren Besuchen im Kufneischen Hause, bei denen wir uns jedes Mal reichlich mit Wein und mit Lebensmitteln versahen, auch Peter Kufner, der Mann der Krämerin, einverstanden und bei ihnen auch oft zugegen war.

Von einem Verhältnisse zwischen Gänswürger und der Kufner habe ich nichts bemerkt, wohl aber habe ich den Kufner einmal bei seiner Magd so liegen sehen, dass ich mir dachte: die können es auch gut miteinander. Beherbergt hat uns Kufner niemals. Gänswürger beabsichtigte aber, dort ein Standquartier zu nehmen, und bat in der Nacht vom 4. zum 5. Februar 1873, in der nachher der Mord begangen wurde, den Krämer, uns eine ständige Wohnung in seinem Gehöft zu überlassen.

In jener Nacht, oder vielmehr schon am Abend, kam Gänswürger in mein Versteck nach Reichertshofen, wo ich im Seitzschen Stadel lag. Ich sagte zu ihm, ich wollte in den Forst und wildern. Das war ihm recht, er war bereit, mitzugehen. Wir brachen nach dem Walde zu auf, in der Nähe von Karlskron aber schlug Gänswürger vor: ›Komm, gehen wir zur Krämerin und holen uns ein paar Flaschen Wein, die können wir brauchen und auf die Jagd mitnehmen.‹ Ich wollte anfangs nicht dahin, es ist mir grad so vorgekommen, als wenn es nicht sein sollte; aber schließlich bin ich eben doch mitgegangen. Wir kamen von rückwärts über die Felder und Wiesen etwa gegen neun Uhr an das Kufnersche Haus, Gänswürger klopfte an den Fensterladen, wir hörten aber nur die scheltende Stimme der Magd und eine heftige Gegenrede der Krämerin, die zur Magd sagte, sie solle nicht so schimpfen, man wisse nicht, wer draußen sei.

Ich hatte an jenem Abende einen Zwilling und einen Revolver bei mir, Gänswürger seinen Lefaucheux und auch einen Revolver; er trug eine Pelzmütze und einen schwarzen langen Überzieher. Nicht lange, nachdem wir geklopft hatten, kam die Kufner, und zwar ganz leicht gekleidet, heraus und sagte, als sie uns sah: ›So, ihr seid's.‹ Auf unsere Bitte um Lebensmittel brachte sie uns ein paar Flaschen Wein, Zucker und Konfekt, ging dann wieder ins Haus und kam bald darauf vollständig angekleidet zu uns. Wir hatten uns hinter dem Hofe auf einen in der Nähe befindlichen Streuhaufen niedergelassen. Sie setzte sich zu uns, trank mit uns und ging ab und zu, um uns Käse, Heringe und anderes aus dem Laden zu holen.

Ungefähr eine Stunde, bevor die Nachtwächter den Kufner dann riefen, ist auch dieser zu uns hinter das Haus gekommen. Er trank mit von unserem Weine, hatte aber noch Geschäfte zu besorgen und hielt sich deshalb an diesem Abende nicht lange bei uns auf. Seine Frau dagegen leistete uns Gesellschaft und plauderte mit uns. Ich erinnere mich noch, dass ich sie um ein Sacktuch bat, worauf sie mir ein gelbes Tuch mit Tupfen gab. Allein Gänswürger veranlasste sie, anstatt des weißen Tuches, das sie um den Kopf gebunden hatte, und das man von weitem gut sehen konnte, dieses gelbe Tuch umzulegen. Das ist dann auch später bei der Leiche gefunden worden.

Die Kufner saß zwischen uns beiden auf dem Streuhaufen, aber etwas Unrechtes ist ihr nicht geschehen. Ich würde mich nicht geniert haben, in Gegenwart eines Dritten so etwas zu tun, und auch Gänswürger hätte gar keine Rücksicht auf mich genommen, aber weder ich noch er haben uns damals mit ihr abgegeben.

Nach einiger Zeit kam die Nachtwache, die eingeführt war, um auf uns zu streifen. Kufner ging mit ihr fort, seine Frau sagte, sie wolle in das Haus gehen, sich wärmer anziehen und dann wiederkommen und uns mit in die Stube nehmen. Es verging eine geraume Zeit, ohne dass sie zurückkehrte. Wir hatten genug Wein getrunken, es war bereits Mitternacht vorüber, deshalb beschlossen wir, nicht länger zu warten, sondern aufzubrechen.

Als wir etwa hundert Schritte gegangen waren, fiel mir ein, dass ich meinen Revolver auf dem Streuhaufen hatte liegen lassen; Gänswürger, dem ich das sagte, schimpfte mich deswegen derb aus, ich kehrte aber doch um und wollte die Waffe holen. Ehe ich zurückging, verlangte Gänswürger meinen Zwilling. Erstaunt fragte ich ihn: ›Wozu brauchst du ihn denn? ‹ Er entgegnete: ›Ja, zu was brauchst du ihn denn auf die kurze Strecke? ‹ Da ich nun so ein guter Kerl bin, der niemand etwas abschlagen kann, so gab ich ihm das Gewehr, denn ich ahnte nichts Böses. Im Zurückgehen nach dem Streuhaufen, ungefähr acht Schritte von Gänswürger entfernt, traf ich auf die gerade wieder aus dem Hause kommende Margarethe Kufner. Als ich sie kommen sah, wandte ich mich um und sagte zu Gänswürger: ›Schau, da kommt die Grete. Was will die denn noch? ‹ Gänswürger erwiderte: ›Ist auch wahr.‹ Ich traf mit der Kufner zusammen und teilte ihr mit, dass ich meinen Revolver vergessen hätte.

Sie fragte mich, warum wir denn auf einmal fort wollten. Während dieses kurzen Gesprächs zwischen mir und der Krämerin rief der von uns, wie schon gesagt, kaum acht Schritte entfernte Eduard Gänswürger: ›Halt, wer da! Ist es vielleicht ein Wächter, oder sonst jemand anderes?‹ Er musste wissen und sehen, dass die Kufner bei mir stand, überdies erwiderte sie auch: ›Ich bin's!‹ und ich rief: ›Die Gretel ist's!‹ – dennoch feuerte der Unmensch einen Schuss auf die etwa einen oder zwei Schritte von mir entfernte Kufner ab. Er traf sie in die Brust, denn sie fuhr mit beiden Händen dahin und stöhnte: ›Nun, jetzt schießt er gar auf mich‹; ich aber rief voll Entsetzen: ›Na, dämischer Kerl, die Gretel ist's! ‹ Kaum hatte ich das gesagt, als Gänswürger einen zweiten Schuss auf die Kufner abfeuerte. Die Frau fuhr gleich mit beiden Händen ins Gesicht, rief: ›Mein Gott! ‹ und stürzte rücklings zu Boden.

Als er den zweiten Schuss abgefeuert hatte und die Kufner niedergestürzt war, legte er auch noch auf mich an. Die Kapsel ging mit einem mächtigen Knall los, aber der Schuss, der mich unfehlbar getroffen und getötet haben würde, versagte. Ich glaubte es gar nicht anders, als dass unser lieber Herrgott, der mich in mancher Not und Gefahr beschützt hatte, nicht zulassen wollte, dass ich von Gänswürger meuchlings ermordet werden sollte.

Ich kroch dann auf allen vieren die Wiese entlang, bis ich das Kufnersche Haus aus dem Gesicht verloren hatte. Nach einiger Zeit, als ich nichts mehr von Gänswürger hörte und sah, kehrte ich zurück auf den Platz, wo die Kufner niedergestürzt war, damit sie, wenn sie noch am Leben wäre, in ihr Haus geschafft würde und noch beichten und die heiligen Sterbesakramente empfangen könnte. Sie lag mit ausgebreiteten Armen auf dem Rücken, der untere Teil des Körpers war vollkommen zugedeckt. Ich schüttelte sie noch einmal bei der Achsel und rief sie beim Namen; allein ich hörte nur noch ein leises Röcheln und überzeugte mich bald, dass sie tot war. Ich eilte von dannen mit dem Gedanken, dem Gänswürger nachzugehen und ihn zu verraten. Die Ermordung der Kufner hat ungefähr eine oder anderthalb Stunden nach der Entfernung des Hufnagel und des Peter Kufner stattgefunden. «

In einem späteren Verhör hat Gump freilich andere Angaben gemacht und behauptet, Gänswürger habe die Kufner erschossen, noch ehe deren Ehemann auf die Wache gegangen sei und noch während Hufnagel sich bei ihm befunden habe. Hufnagel hätte dann allerdings die beiden Schüsse hören müssen, was er, wie wir wissen, in Abrede stellte. Gump will an das Fenster getreten sein, den Krämer leise herausgeklopft, ihm die schreckliche Tat mitgeteilt und dabei gesagt haben: »Jetzt erschieß ich den Schuft, den Gänswürger, den Schlechten, weil er auch die Gretel noch umgebracht hat.« Kufner sei äußerst bestürzt und betroffen gewesen und habe ihn händeringend gebeten: »Jetzt mach nur wenigstens, dass du fortkommst! « Hierauf hätten der Krämer und er die Leiche auf den Streuhaufen getragen, wo man sie am anderen Morgen gefunden hatte. Er aber sei auf dem Stege zwischen Reichertshofen und Karlskron nach Mendelfeld zugegangen, weil er vermutet habe, dass Gänswürger dort vorbeikommen würde.

Völlig aufgeklärt ist durch die Geständnisse Gumps das Verbrechen also nicht. Am wahrscheinlichsten ist es, dass die Tat verübt worden ist, während Kufner bei Hufnagel in der Stube war; denn als Hufnagel und Kufner zu ihren Kameraden gestoßen waren, die mit ihnen zu wachen gehabt hatten, waren sie mit den Worten empfangen worden: »Habt ihr nicht schießen hören?« Es waren also bereits damals Schüsse gefallen, die Hufnagel eben nicht gehört hatte. Ferner hat Hufnagel bezeugt, es sei, während er bei Kufner war, an den Fensterladen geklopft worden, und der Krämer sei hinausgegangen, dann aber wiedergekommen und habe gesagt: »Jetzt weiß ich nicht, was das gewesen ist. « Wahrscheinlich hat ihn Gump damals herausgeklopft und in Kenntnis gesetzt von dem, was geschehen war.

Es ist übrigens nur von geringer Wichtigkeit, den Zeitpunkt des Mordes genau festzustellen. Viel wichtiger ist die Frage, wer der Mörder gewesen ist, Gump oder Gänswürger. Beide waren mit der Ermordeten unmittelbar vor deren Tod zusammengewesen, zu jedem von ihnen hatte sie in einem freundlichen Verhältnis gestanden. Für die Täterschaft Gumps spräche, dass das Blei, das ihr den Tod gebracht hatte, aus dem Zwillingsgewehre des Gump abgeschossen worden war, denn die im Körper der Toten gefundenen Rehposten hatten in den Lauf dieses Gewehres gepasst.

Aber diese Tatsache ist doch durch die Schilderung Gumps einigermaßen erklärt. Außerdem ist nicht zu verkennen, dass Gump im Ganzen die Wahrheit angegeben und keineswegs den Versuch gemacht hat, seine eigene Schuld zu verkleinern und sich auf Kosten seines Gefährten zu entlasten. Es ist daher nicht recht abzusehen, weshalb er in diesem Falle gelogen haben sollte. Vor allem aber fehlt es an jeglichem Beweggrunde für den Mord, wenn man Gump für den Mörder halten will; er hatte nicht die mindeste Veranlassung, die Krämerin zu töten. Anders bei Gänswürger. Die Kufner war seine Geliebte, und er war eifersüchtig.

Er hatte vielleicht auch Grund zu glauben, dass sie nicht ihm allein zu Willen war und insbesondere auch seinem Genossen Gump ihre Gunst zuwendete. Charakteristisch ist eine Äußerung Gumps, die er zu einer Zeugin getan, später aber in Abrede gestellt hat, Gänswürger habe, als er die Frau erschoss, die Worte gemurmelt: »Weibsbild, schlechtes, hast du nicht genug an mir?« Vielleicht ist die Sache so zugegangen: Als die verehelichte Kufner zwischen Gump und Gänswürger saß und mit ihnen trank, mag sie nicht immer vorsichtig gewesen sein, sondern sich für Gänswürgers Geschmack Gump gegenüber etwas zu freundlich benommen haben.

Als sie sich getrennt hatten und Gump nun umkehrte, um seinen Revolver zu holen, aber wiederum mit der Grete zusammengetroffen war, wird Gäuswürger wohl ein Stelldichein der beiden vermutet haben, und in seiner eifersüchtigen Wut, die durch den Weingenuss noch wilder geworden war, mag er auf den Gedanken gekommen sein, die seiner Meinung nach untreue Frau und den Freund, den er für einen Verräter hielt, zu erschießen.

Eine Beteiligung des Ehemannes an dem Verbrechen ist unwahrscheinlich, ebenso, dass er Gänswürger zu dem Morde angestiftet haben sollte. Denn das wäre doch unnatürlich genug, wenn sich der Liebhaber von dem Gatten dazu gebrauchen ließe, die Frau, die ihm zuliebe die Ehe gebrochen hat, aus dem Wege zu räumen, um ihren Ehebruch zu rächen. So schwer empfand Kufner den Treubruch aber auch gar nicht, dass er nach dem Blute seines Weibes gedürstet hätte.

Wenn er nicht sofort, als er von dem Morde in Kenntnis gesetzt wurde, zur Leiche ging, sondern erst die Nachtwache verrichtete und nachher sich stellte, als wüsste er nicht, was aus seiner Frau geworden und wohin sie gekommen sei, so erklärt sich das daraus, dass er sich hüten musste, seine nahen Beziehungen zu den verrufenen Räubern kund werden zu lassen. Gump wird wohl das Richtige getroffen haben, wenn er wiederholt vor Gericht erklärt hat: »Ich glaube an kein Einverständnis des Peter Kufner, sonst hätte er nicht so erschrocken sein können, als ich ihm den Tod seiner Frau mitteilte. «

Über das, was in der Nacht des 5. Februar weiter geschah, fuhr Gump in seinem Geständnis folgendermaßen fort: »An dem bei Mendelfeld über den Donaukanal führenden Stege setzte ich mich nieder und wartete auf Gänswürger. Er musste hier vorbeikommen, wenn er in sein Versteck in Mansing oder Mendelfeld gelangen wollte. Ich nahm mir vor, den Gänswürger, der mir doch ein gar zu schlechter Mensch zu sein schien, zu verraten. Ich hätte dies so gemacht, dass ich einen Zettel an die Gendarmen geschrieben und darin mitgeteilt hätte, wo sie ihn antreffen könnten.

Um fünf Uhr morgens kam Gänswürger auf mich zu. Ich saß am rechten Ufer des Kanals. Er hatte seinen Lefaucheur und seine Doppelpistole, aber meinen Zwilling trug er nicht mehr bei sich. Als ich ihn erkannt hatte, rief ich ihm in freundlichem Tone zu: »Eduard! « Er entgegnete: »Ja, Fendl, bist du's? Weil nur du da bist, ist mir jetzt alles recht; ich hab gemeint, du bist gestorben; da wären mir schon lieber hundert andere hin wie du. « Ich stellte ihm hierauf vor, wie er habe so unsinnig sein und ohne irgendeinen Grund auf die Krämerin schießen können. Er erwiderte, jetzt sei es schon geschehen, ich solle ihm nur verzeihen, er wisse selbst nicht, wie er dazu gekommen sei. Er erwähnte nichts mehr über die Sache. Als ich ihn fragte, wo er meinen Zwilling gelassen hätte, gab er mir zur Antwort, der sei gut aufgehoben, ich würde ihn schon wiederbekommen. Was wir dann weiter gesprochen haben, weiß ich nicht mehr. Ich dachte immer daran, dass ich ihn verraten wollte, da sind mir die Worte nicht mehr vom Herzen gegangen, und ich musste mit ihm scheinheilig umgehen.

Wir sind nun nach Reichertshofen und von da am linken Ufer die Paar – das ist ein kleines Flüsschen, das in die Donau mündet – entlang nach Mansing gegangen, wo wir erst um zehn Uhr ankamen. Dort wollte ich ihn verraten. Dass wir zu der an und für sich nicht langen Strecke den ganzen Tag gebraucht hatten, lag daran, dass wir unterwegs geschlafen und bei langen Rasten unsere Lebensmittel verzehrt hatten, und so war uns denn der Tag so dahingegangen.

Während wir so herumlungerten, sagte Gänswürger, der mir wohl die Unruhe anmerken mochte, zu mir: ›Ich weiß nicht, wie du mir heut vorkommst, grad so wie nach der Meilenhofer Geschichte.‹ Als ich ihm erwiderte, es sei auch nichts Kleines, dass er die Kufner und die beiden Bauern so ohne weiteres erschossen habe, fing er an: ›Ach was, du machst dir immer ein Gewissen daraus und meinst, es gebe einen Herrgott; aber es gibt keinen Gott; der Mensch lebt, und das Leben ist der Geist; wenn der Mensch tot ist, dann ist der Geist ausgehaucht, und dann ist's mit ihm aus!‹In ähnlicher Weise sprach er sich noch längere Zeit über Gott und Unsterblichkeit aus.

Ich hielt ihm vor, dass es einen Gott gebe, und dass man ja dessen Walten überall in der Natur erkenne, er aber widersprach mir heftig und sagte, dass er über diese Dinge von Zuchthaussträflingen, die oft sehr gescheite Leute wären, belehrt worden sei, und noch mehr derartiges. Wir waren in diesem Gespräch noch eine Viertelstunde vor Gänswürgers Tode begriffen. So wurde es Nacht. Gegen zehn Uhr, als wir in der Nähe von Mansing lagerten, sagte Gänswürger, dass er drüben im Altwasser der Sandrach ein Fischteichel wisse. Er wolle dort Fische holen, die könnten wir uns in irgendeinem Hause zubereiten lassen. Ich war damals zu einem Diebstahl nicht aufgelegt und suchte ihn abzuhalten; er ließ sich aber nicht irre machen, sondern ging fort, Ich blieb am Ufer der Sandrach liegen, und bald kam auch Gänswürger zu mir zurück.

Ich musste jetzt zur Sache kommen. Da ich sah, dass Gänswürger ein unverbesserlicher, gottvergessener Mensch war, der nicht nur mehrere Menschen ums Leben gebracht hatte und mit dem Vorsatze umging, noch mehr zu töten, sondern auch ohne alle Gottesfurcht und allen Glauben war, so wurde der Entschluss, ihn zu erschießen, noch fester in mir. Ich hatte das ja schon tun wollen, als er mit dem Fischkasten die Sandrach heraufkam, aber ich hatte es wieder auf einige Stunden verschoben, und so gingen wir denn noch einträchtig nebeneinander über die Sandrach und auf dem anderen Ufer noch eine ziemliche Strecke dahin.

Aber als wir uns wieder niedergelegt hatten und wieder aufstanden, beschloss ich endgültig, die Tat auszuführen. Ich schützte Müdigkeit vor und blieb ungefähr vier Schritte hinter Gänswürger zurück. In dieser Entfernung folgte ich ihm ungefähr eine Viertelstunde lang und kam auf den Gedanken, ob ich ihn ohne Reue und Beichte und ohne die heiligen Sterbesakramente in das Jenseits hinüberschicken sollte oder nicht. Ja, wahrlich, das habe ich gedacht; ich hatte von jeher eine gute Religion, und unser lieber Herrgott hat mich immer gnädig behandelt und aus manchen Gefahren gerettet; ich habe auch immer zwei Amulette getragen, eins auf der Brust und eins im Geldbeutel, dass mich die Heiligen in Schutz nehmen sollten, und dass ich nicht erschossen und so bei einem raschen Tode ohne Buße aus dem Leben scheiden möchte.

Als ich mir aber vorstellte, dass Gänswürger selbst drei Personen ohne Beichte und Buße ins andere Leben befördert hatte, so fühlte ich mich in meinem Gewissen wesentlich erleichtert. Als ich so – in der Nähe von Mansing war es – drei bis vier Schritte hinter Gänswürger dreinging, murmelte ich die Worte: ›Herr, gib ihm die ewige Ruh und vergib ihm seine Sünden!‹ und feuerte den rechten Lauf meines Lefaucheuxzwillings« – wie Gump wieder in dessen Besitz gekommen war, blieb dunkel –, »den ich aber nicht an die Wange legte, sondern an die rechte Brustseite andrückte, auf ihn ab. Der Schuss drang dem Gänswürger in die rechte Seite des Rückens, und er rief: ›Ha! ‹ aus und stürzte sofort mit ausgebreiteten Armen zu Boden. Er röchelte stark, ich wollte deshalb seinem Leiden rasch ein Ende machen und feuerte auch den zweiten Lauf meines Zwillings auf die rechte Seite seines Kopfes ab.

Mein Gewissen machte mir über die Tat keinen Vorwurf: ich betete für Gänswürger ein paar Vaterunser und verließ ihn mit leichtem Herzen, weil ich die Welt von einem Scheusal befreit hatte. Und das ist er gewesen; er hat oftmals gedroht, dass er alle Gendarmen in Reichertshofen und den Kommandanten von Geisenfels ermorden würde. Dem Herrn Regierungsrat, der wegen der Räubereien eigens von München abgesendet worden war, hatte er geschworen, das Fleisch stückweise vom Leibe zu reißen, wenn er ihn erwischte. «

Hiermit endigen die Angaben Ferdinand Gumps über den Mord, den er an seinem Kameraden verübt hatte. Der Befund der Leiche bewies, dass er die Wahrheit gesagt hatte. Ein Eisenbahntagelöhner, Alois Donaubauer, hatte die Leiche am Morgen des 6. Februar früh ein Viertel sieben Uhr gefunden. Daneben hatten ein geladenes Lefaucheuxgewehr, eine geladene Lefaucheuxpistole, mehrere Patronen, ein Stück Brot, etliche Wachskerzen, Zigarren, ein Sacktuch mit Fischen und eine Tabaksdose gelegen. In den Taschen waren nur zwei Gulden vierundzwanzig Kreuzer bares Geld gefunden worden. Gänswürger hatte in der vorhergehenden Nacht bei dem Krämer eine Fünfzigguldennote gewechselt und viel Geld herausbekommen gehabt. Man schloss daher, Gump möge vielleicht den Toten beraubt haben.

Gump aber stellte es unter den feierlichsten Beteuerungen beharrlich in Abrede. Der Arzt hatte festgestellt: Schuss von hinten, vollständige Zersprengung des Rückens, brandige Zerreißung der geschwärzten Haut und der Rückenmuskeln über der zehnten und zwölften Rippe auf der rechten Seite in Form und Größe eines Talers, Bruch und Zertrümmerung der Rippen und Zerreißung der Zwischenrippenschlagadern; auch die vierte, fünfte und zweite Rippe der Vorderbrust, in der noch zweiundzwanzig Schrote gefunden worden waren, waren zerschmettert, das Zwerchfell war angerissen und die Risse waren mit Leberfetzen ausgefüllt gewesen. Durch den zweiten Schuss waren das rechte Auge, das rechte Nasen-, das Pflug-, das Stirn- und das rechte Schläfenbein zerstört worden. Im rechten Scheitelbeine hatte sich eine Fissur gezeigt.

Aus diesen furchtbaren Wirkungen der Schüsse und der Schwärzung der Haut hatte das ärztliche Gutachten den Schluss gezogen, dass der Mörder aus unmittelbarer Nähe gefeuert haben müsse, wie ja auch Gump selbst angegeben hatte.

Über die Motive zu der Tat haben die Geständnisse des Angeschuldigten keinen genügenden Aufschluss gegeben. Niemand konnte ihm glauben, dass er seinen Kameraden getötet habe, weil ihm dieser zu schlecht für diese Welt erschienen sei und er es deshalb für seine Pflicht gehalten habe, die Menschheit von diesem Scheusale zu befreien. Wir können auch hier nur Vermutungen aussprechen, werden aber kaum fehlgehen, wenn wir annehmen, dass Gump erbittert war durch den Schuss, den kurz vorher Gänswürger auf ihn abgefeuert hatte. Stand es einmal so, dass Gänswürger sich nicht einen Augenblick besann, erst auf seine Geliebte und dann auf den Freund zu schießen, so schwebte sein Leben in beständiger Gefahr. Es war nur ein Akt der Rache und der Notwehr, wenn er den Menschen, der ihn etliche Stunden zuvor hatte töten wollen, für immer unschädlich machte und sich dadurch zugleich eines Genossen entledigte, der doch noch einmal zum Verräter werden konnte.

Gänswürger, die Kufner, Therese Pleiner und noch andere Personen, die in diesem Drama mitgespielt hatten, waren tot, und auch an der Hauptperson, an dem Räuber Gump, sollte die irdische Gerechtigkeit die Freveltaten nicht sühnen können. Mitte September 1873 wurde er im Gefängnisse krank, im Oktober verschlimmerte sich sein Zustand, und am 25. November 1873 starb er. In den letzten Tagen seines Lebens wurde er wiederholt aufgefordert, den dritten Genossen zu nennen, der mit Gänswürger und ihm den Raubmord in der Nähe von Meilenhofen ausgeführt hatte. Er blieb dabei, Gänswürger habe diesen dritten Burschen mitgebracht, und er, Gump, habe ihn nicht gekannt.

So ist er in die Ewigkeit gegangen, und nur an den untergeordneten Personen, den Hehlern und Helfershelfern der Räuber, hat die Strafe des Gesetzes vollzogen werden können.

Quellen: - Das Neue Pitaval (Willibald Alexis)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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